Nicht erst in Zeiten der Corona-Pandemie geraten niedergelassene Psychotherapeuten auch wirtschaftlich unter Druck.
Drohende Ausfälle von Patient*innen, die sich bereits in Behandlung befinden, mit Hilfe von Video-Sprechstunden zu kompensieren, erscheint Vielen aktuell als geeignetes Mittel, um einer wirtschaftlich existentiellen Bedrohung zu begegnen.
Wie aber lässt sich der Erstkontakt zur Patientin, zum Patienten herstellen, wenn es aus finanziellen Gründen drängt, möglichst rasch neue Patient*innen zu gewinnen?
Was bedeutet es unter ganz normalen Bedingungen (also ohne die Pandemie-bedingten Einschränkungen) für uns als niedergelassene Psychotherapeut*innen, mit der unternehmerischen Verantwortung als Selbständigen zu arbeiten?
Und was heißt das für die therapeutische, technische Neutralität und die Abstinenz-Regel in der Psychotherapie?
Mit Hilfe einiger Gedanken-Skizzen möchte ich durch diesen Beitrag einen Dialog eröffnen über einen Aspekt psychotherapeutischen Arbeitens, der oft in der Verschwiegenheit landet.
Was die Pandemie-Folgen betrifft, hat kaum eine Situation – zumindest was unsere Verhältnisse hier in Europa betrifft – uns bisher so sehr spürbar gemacht, was es für niedergelassene Psychotherapeut*innen bedeuten kann, sich der gleichen Not ausgesetzt zu sehen, wie unsere Patient*innen sie erleben. Das Besondere daran ist nicht, es „für uns selbst“ zu wissen und zu verarbeiten, sondern es auch im Kontakt mit unseren Patient*innen unmittelbar zu erfahren.
Den meisten Psychotherapeut*innen werden die Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit jedoch bereits seit ihrer Ausbildungssituation begegnet sein.
- Wer Patient*innen „für die Ausbildung braucht“, ist nicht mehr neutral in seiner/ihrer Auswahl geeigneter Behandlungsfälle, und mitunter eben auch nicht mehr in Hinblick auf die in der Therapie getroffenen Entscheidungen.
- Wer für die Ausbildungskosten Kredite aufnehmen muss, wird diese spätestens nach der Ausbildung zurückzahlen müssen. Wer dann für die Praxisgründung nicht über das nötige Eigenkapital verfügt, oder den Kassensitz anstrebt, und ihn kostspielig erwerben muss, steht direkt vor dem nächsten Kreditantrag. Das erhöht den Erwerbsdruck erheblich.
- Mit Privatpatient*innen oder im Rahmen der Kostenerstattung zu arbeiten, ist zwar im Falle eines fehlenden (oder nicht angestrebten) Kassensitz möglich, aber nicht minder oft ebenfalls mit einem finanziellen Druck verbunden, wenn der Erwerb der Lebenshaltungskosten davon abhängt. Jede*r einzelne Patient*in bekommt damit eine zunehmend von wirtschaftlichen Interessen beeinflusste Bedeutung
Was macht das mit uns – und mit der Behandlung unserer Patient*innen?
Diese Frage stellt sich mir in Supervisionen psychotherapeutischer Kolleg*innen (ob noch in Ausbildung oder bereits in eigener Praxis tätig) immer wieder.
Einige Auswirkungen des wirtschaftlichen Drucks auf bewusste oder unbewusste Motive in der Behandlung und auf die Abstinenz möchte ich im Folgenden in einigen kurzen Absätzen skizzieren.
„Ich muss jede*n Patient*in nehmen, ob ich mit ihm/ihr nun kann, oder nicht.“
Wer unter wirtschaftlichem Druck steht, fühlt sich eher gehemmt, eine*n Patient*in an andere Therapeut*innen zu verweisen, wenn die Chemie nicht stimmt oder das eigene Verfahren vermutlich nicht die beste Wirksamkeit erwarten lässt.
„Wenn ich den Patient*innen sage, dass ich im Moment keinen festen Behandlungsplatz habe, gehen sie zur Konkurrenz. Dann gebe ich ihm/ihr doch lieber Stunden, wenn ich Lücken habe. Das nützt beiden.“
Benötigen Patient*innen dringend eine Psychotherapie, reichen oft die Stunden in gelegentlich stattfindenden Freistunden nicht aus. Bei langen Wartezeiten scheint das Vorgehen gerechtfertigt, wenn sich sonst keine andere Möglichkeit findet. Aber was wäre in diesem Fall alternativ mit einer stationären Akutbehandlung in einer psychotherapeutischen Einrichtung? Wer wirtschaftlich entspannt ist, wird diese Entscheidung möglicherweise leichter treffen können, als jemand, der jedem einzelnen Stundenhonorar nachjagen muss.
„Wenn Patient*innen die Behandlung abbrechen, müssen sie bei mir noch einige Stunden privat nachzahlen. So schnell finde ich ja keinen Ersatz.“
Diese Vereinbarung wird mir immer mal wieder von Patient*innen zugetragen, ist in Verbindung mit einer vertragsärztlichen Praxis rechtswidrig und auch in einer Privatpraxis zumindest ethisch und therapeutisch höchst fragwürdig. Sie hält eine*n Patient*in in einer von wirtschaftlichen Gründen erzeugten Abhängigkeit, was der Freiheit der Therapeut*innenwahl widerspricht.
„Was bewirkt eine konfrontative Deutung bei meinem Patienten oder meiner Patientin? Am Ende sagt er oder sie Stunden ab, geht gar ganz, und mit fehlt das Honorar…“
Wenn ein Abbruch der Behandlung droht, ist der Spielraum für angemessene Reaktionen im dynamischen Geschehen der Übertragung eingeengt, wenn unbewusst die Angst mitschwingt, dass dadurch ein schmerzlicher finanzieller Verlust droht.
Sich von dieser Angst zu lösen, um den Patient*innen in der Übertragung zur Bearbeitung der Konflikte zur Verfügung zu stehen, ist dabei nicht einfach, wenn wir uns damit selbst in einem Konflikt befinden. Wenn Patient*innen das spüren, kann das schwer beeinflussbare Auswirkungen auf die Übertragungsdynamik bekommen. Je weniger wir aufgrund eigener Belastungen aufnahmefähig für die Not der Patient*innen sind, desto schwieriger wird es, die Verwicklungen als solche zu erkennen, die sich aus einer solchen Situation ergeben können.
Mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und wütendem Affekt zu arbeiten, ist zudem extrem anstrengend, und führt im schlimmsten Fall dazu, dass wir unsere*n Patient*in erst recht verlieren.
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Vielleicht haben diese wenigen Beispiele Erinnerungen an vergleichbare Situationen aus Ihrer Ausbildungszeit oder der Praxis geweckt, über die Sie gerne mit mir diskutieren möchten?
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