Negative therapeutische Reaktion: Immer wenn es etwas besser wird, scheint es dem Patienten bald wieder schlechter zu gehen.

Es scheint manchmal wie verhext. Ihr*e Patient*in entwickelt sich zufriedenstellend und äußert sich selbst ebenfalls so, dass Sie den Eindruck gewinnen, als wären Sie miteinander auf einem guten Weg. Die Psychotherapie könnte zu einem guten Ende gelangen.

Doch immer wieder erleben Sie Rückschläge, die genau in dem Moment auftreten, in dem Sie bei anderen Patient*innen einen Fortschritt feststellen. Es scheint, als wenn es einen inneren Widerstand gegen die eigentlich angestrebte Veränderung geben würde.

Ihr*e Patient*in klagt erneut über dieselben Beschwerden wie zu Anfang der Psychotherapie. Eine unerklärliche Spannung zwischen Ihnen und Ihre*r Patient*in taucht auf, und macht die Stunden ermüdend und zäh.

Was eine mögliche Ursache für dieses Phänomen sein könnte, nennen wir Psychoanalytiker eine negative therapeutische Reaktion.

Die negative therapeutische Reaktion

Charakteristikum einer solchen Reaktion ist das unerwartete Auftreten und die überraschende Wende eines ansonsten positiven Behandlungsverlaufs.

Oft tritt diese Reaktion bei Patienten auf, die unter Ich-strukturellen Beeinträchtigungen leiden, deren Kernproblem in der Affektregulierung oder einer Regulierungsstörung des Selbst-Objekt-Bezugs liegt.

Diese Patient*innen wirken unsicher in der Selbsteinschätzung, scheinen oft von Schuldgefühlen geplagt, haben nicht selten depressive Störungen und neigen dann zu Selbstvorwürfen und zu Versagensgefühlen und -ängsten.

Bei ihnen ist eine positive Entwicklung oft besonders erfreulich, und wird dankbar begrüßt. Doch dann erscheint die Wendung ins Gegenteil wie ein Fluch – als wenn es nichts Gutes geben dürfte. Und genau das kann als Leitidee gelten.

In aller Kürze: die Fakten
Im Zentrum der negativen therapeutischen Reaktion steht häufig ein Schuldgefühl, das sich dann einstellt, wenn es dem Patienten gut geht. Ein unbewusstes Strafbedürfnis wendet sich gegen jede Freude und gegen den Therapieerfolg.

Das hat zur Konsequenz, dass jeder Erfolg letztlich doch zunichte gemacht werden muss.

Zur Entstehung des Begriffs der negativen therapeutischen Reaktion

Den Ursprung dieses in der psychoanalytischen Theorie verankerten Begriffs finden wir in Sigmund Freuds Arbeit „Das Ich und das Es“ von 1923.

Danach ruft jede (Zitat) „[…] Lösung, die eine Besserung oder ein zeitweiliges Aussetzen der Symptome zur Folge haben sollte und bei anderen auch hat, […] eine momentane Verstärkung ihres Leidens hervor, sie verschlimmern sich anstatt sich zu bessern“ (Freud, 1923: 316).

Seither ist der Begriff in vielfältiger Weise verwendet und „gewendet“ worden, findet am häufigsten Anwendung in kleinianischen und postkleinianischen Arbeiten, bei denen archaische, negative Affekte wie Neid, Hass und Schuldgefühle in ihren Auswirkungen auf die Seele und auf die analytische Behandlung untersucht werden.

Vom Gefühl, nicht richtig verstanden zu werden

Dieser Mechanismus lässt sich nicht leicht bewältigen. Patienten, die dazu tendieren, verlieren sich schnell in Selbstvorwürfen, die nicht selten auch einen latenten Fremdvorwurf enthalten.

Das merken Sie gelegentlich an ihrer eigenen Gefühlsreaktion, die womöglich ebenfalls von einem schlechten Gewissen gekennzeichnet ist, aber auch mit negativen Affekten wie unterschwelliger Gereiztheit und Ungeduld.

Diese lassen sich dann mitunter als Ausdruck einer Gegenübertragungsreaktion auf eine verdeckte, negative Übertragung verstehen, wie sie in latenten Vorwürfen enthalten ist, die sich gegen die jetzt erfolglose Therapie – also gegen Ihre Arbeit – richten.

Es kann sich hierbei um den Hinweis darauf handeln, dass sich Ihr Patient nicht ausreichend verstanden fühlt.

Er verweist womöglich darauf, dass seine Schuld doch offensichtlich sei, und Sie ihn darin nicht verstehen.

Wenn es Ihnen gelingt, diese negative therapeutische Reaktion zu erkennen, haben Sie schon einen großen Schritt in Richtung einer möglichen Lösung gemacht.

Manchmal reicht bereits die einfühlsame Intervention, um mit Ihrem Patienten darüber ins Gespräch zu kommen: „Es scheint nichts gut werden zu dürfen – offenbar kommt Ihnen dann etwas in die Quere, was dazu führt, dass etwas, das eben noch gut war, ins Gegenteil kippt.“

Sollte das sich unverstanden fühlen im Vordergrund stehen, könnte ein Zugang dazu mit Worten gelingen wie:

„Womöglich entspringt Ihr Gefühl der Vorstellung, als fände ich keinen wirklichen Zugang zu Ihnen und Ihrer Gedanken- und Gefühlswelt. Sonst müsste ich wohl erkennen, wie groß Ihre Schuld und wie unentrinnbar die sich daran anschließende Strafe ist. Damit steht die Besserung Ihrer Beschwerden auf einer Seite mit dem Unverständnis, und es kann nicht wirklich gut werden, weil es etwas für Sie sehr wichtiges, zentrales ausser Acht zu lassen scheint.“

Mitunter ist es jedoch auch erforderlich, einen Affekt zu benennen, der in nicht seltenen Fällen in diesen Situationen mitschwingt: die Verzweiflung. Es kann dann helfen, diesen Affekt in Verbindung mit den vorher offenkundigen Bemühungen des Patienten (und des Therapeuten) zu bringen, und damit auch zu der Vorstellung überzuleiten, dass es vielleicht eine Erklärung für diese Entwicklung geben könnte.

Dabei würde helfen, wenn sie an den Ursprung der Schuldgefühle in der Behandlung zurückkehrten, und die bisher geleistete Arbeit zu würdigen, die nun noch einmal genauer untersucht werden müsste.

Dann könnte es womöglich gelingen, das Unverstandene besser verstehen zu lernen.

Zusammenhänge zwischen Reaktion und zugrunde liegender Psychodynamik

Womöglich hat sich bereits in der bisherigen Arbeit mit Ihrem Patienten ein erster Anhaltspunkt dafür gefunden, dass es in der Biografie eine Neid- und/oder Schuldthematik gibt, die die Persönlichkeitsentwicklung des Patienten beeinflusst hat.

Das könnte sich äußern in Form

  • einer altruistischen Abtretung eigener Bedürfnisse
  • einer Wendung gegen das Selbst, die als häufiger Abwehrmechanismus ausgeprägter Angst vor aggressiven Affekten gelten kann
  • oder in einer betont moralischen Haltung, die jedoch nicht selten von erheblichen Brüchen durchzogen ist.

Vielleicht ergibt sich an dieser Stelle eine Möglichkeit, mit Ihrem Patienten zu überlegen, in welcher Weise es für ihn eine reale oder phantasierte, negative Konsequenz haben könnte, wenn sich sein Zustand verbessern sollte.

Es handelt sich dann bei diesem Phänomen der negativen therapeutischen Reaktion mit ihrer Wendung ins Gegenteil um eine unbewusst antizipierte Schuld, die zur „Bestrafung durch Verschlechterung des Zustandes“ führt.

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